Kündigungen – das weggeschwiegene Projektrisiko

Einleitung

Ohne zu übertreiben, sind Kündigungen von Mitarbeitern für mich das am häufigsten unter den Teppich gekehrte Risiko in der Projektarbeit. Dunklen Familiengeschichten gleich, werden sie im Alltag nicht erörtert, höchstens hinter verschlossenen Türen und schon gar nicht mit Außenstehenden diskutiert. Jenen also, welche die Projektarbeit machen müssen und nicht zur Personalabteilung oder zum Führungszirkel eines Unternehmens gehören.

Mir ist in 20 Jahren Projektarbeit noch kein Arbeit- oder Auftraggeber begegnet, der zu Projektbeginn bei einer Bewertung der Projektrisiken bzw. der Beschreibung meiner Aufgaben festgehalten hat, dass 12 Monate später beispielsweise 30% meines Projektteams wegen Kündigungen und Neuanstellungen ausgetauscht sein werden und ich als Projektleiter diesen Wissensverlust und die sozialen Auswirkungen im Team zu managen habe.

Sich von der glänzende Seite zeigen

Kündigungen sind ein Thema was man auf keiner Webseite, in keiner Broschüre von Arbeitgebern findet, sei denn, die sogenannte Fluktuationsrate ist besonders niedrig und man kann damit Werbung machen.

Eine allgemeine Offenheit an dieser Stelle zu erwarten, wäre in der Tat naiv. Unser Wirtschaftssystem, aber in weiten Teilen leider mittlerweile auch unser soziales Miteinander, ist darauf ausgelegt, sich zu verkaufen, sich möglichst von der besten Seite zu zeigen, die Schattenseiten, die Schwächen zu verbergen. Nicht nur im Werben um Kunden, sondern auch im Werben um Angestellte. Da Unternehmen zudem von Menschen (und keinen Maschinen) nach außen repräsentiert werden, die quasi als berufliche Aufgabe verkaufen müssen oder von innen heraus, „intrinsisch“, das Verkaufsgen bereits in sich tragen, wäre es eine dem Zeitgeist nach völlig weltfremde Erwartung, wenn Arbeitgeber ihren Bewerbern von sich aus offen mitteilen, wie viele Mitarbeiter jährlich kündigen und warum sie das tun.

Natürlich sollte jeder Bewerber den Mut haben, sich im Vorstellungsgespräch zu erkundigen und für sich bewerten, was er mit der Antwort anfangen kann. Die gleiche Nachfrage kann ich übrigens Auftraggebern anraten, bevor sie sich für einen Dienstleister entscheiden.

Für mich als freiberuflicher Berater gehört es zum „normalen“ Alltag meiner Projekte, dass bei längeren Laufzeiten wie selbstverständlich ein Teil der Projektmitarbeiter wegen Kündigungen oder anderen Gründen aus dem Projekt ausscheiden wird und ersetzt werden muss.

Daher ist es erforderlich von vornherein davon auszugehen, dass beispielsweise:

  1. Wissen verloren gehen wird, sofern vorher dagegen keine Maßnahmen ergriffen werden
  2. Einarbeitungen von neuen Mitarbeitern erforderlich sind, die Zeit und Geld kosten
  3. Fachliche Fähigkeiten nicht äquivalent ersetzt werden können und die Qualität gefährdet ist oder im negativsten Fall, nicht mehr wie zuvor erreicht werden kann
  4. Geschäftsbeziehungen ins Wanken geraten können, da das vorher vorhandene Vertrauen vom Nachfolger nicht mehr aufgebaut werden kann
  5. Das verbliebene Team in seinem Sozialgefüge nicht mehr harmoniert, ggf. mehr leisten muss als zuvor und sich Kündigungstendenzen auch bei anderen verstärken

Akzeptieren der Realität von Kündigungen

Ich habe nachfolgend in einer kleinen Übersicht Projekte betrachtet, in denen ich seit 2010 von Berlin aus gearbeitet habe. Dazu habe ich mich erinnert, mit welchen Kollegen ich zusammentraf und was aus ihnen beruflich „geworden“ ist. Da mir diese Erinnerung nur bei Projektleitern oder Teilprojektleitern zuverlässig gelang, habe ich mich in untenstehender Tabelle auf Wechsel innerhalb dieser Berufsgruppe beschränkt. Allerdings war das auch die Berufsgruppe, bei der sich am stärksten das Personalkarussell drehte.

Tabelle: Anzahl Kündigungen oder Ausscheiden aus sonstigen Gründen
(siehe Grafik zu Gründen) von Projektleitern, Teilprojektleitern innerhalb von 24 Monaten nach Projektbeginn:

Web-Projekt* Auftrag-
nehmer**
Auftrag-
geber
A (300) 2 0
B (400) 1 1
C (300) 2 0
D (300) 1 0
E (4000) 9 2
F (800) 2 0
G (400) 0 2
H (200) 0 3

* anonymisiert, in Klammern ungefähre Projektgrößen in Personentagen auf Auftragnehmer-Seite innerhalb von 24 Monaten. Fast alle Projekte hatten eine Laufzeit von 6 -24 Monaten und gingen anschließend in eine Betreuungsphase über. Es handelte sich um Projekte mit Online-Technologien.
** teilweise mehrere Auftragnehmer, die in Kooperation zusammenarbeiteten

Es ist sofort zu ersichtlich, dass Auftragnehmer, in dem Fall fast alles Dienstleistungsunternehmen im Online- & IT-Projektgeschäft, stärker davon betroffen sind als ihre jeweiligen Auftraggeber, von denen oben keiner selbst aus der IT-/ Online-Branche stammte.

Interessant ist zu erwähnen, dass die beiden Auftragnehmer ohne Ausscheiden eines Projektleiters nicht in Berlin, sondern einer eher kleineren bis mittleren Wirtschaftsregion ihren Sitz haben.

Die allgemeinen Gründe für das Ausscheiden aus den oben aufgezählten Projekten habe ich in folgender Grafik zusammengefasst. Kündigungen machten demnach fast drei Viertel der Fluktuationsgründe aus, wobei die 24% der Kündigungen durch Arbeitgeber nur in zwei Projekten auftraten.

Grafik über Fluktuationsgründe Online-Projektleiter

Am Ende dieses Beitrages werde ich aus meiner allgemeinen Erfahrung als Personalvorgesetzter näher versuchen zu beleuchten, was in der Online-Branche die typischen Gründe für Kündigungen sind.

Wichtig ist jedoch und das galt bereits auch für die Zeit vor 2010, dass mit einem Ausscheiden von Projektmitarbeitern jederzeit zu rechnen ist und man darauf so gut es geht, vorbereitet sein muss. Das betrifft sowohl die Dienstleistungsunternehmen als auch die Auftraggeber und deren beiderseitiges Verhältnis zueinander.

Vorbereitet sein auf das unerwartete Ausscheiden

Wenn es für eine Information im Berufsalltag Preise für die am meisten getuschelten und mit vermeintlichem Top-Secret-Faktor aufgeladenen Neuigkeiten gibt, dann wären auf den ersten Plätzen bei der jährlichen Preisverleihung, am besten zur Weihnachtsfeier, vermutlich die der vollzogenen aber noch nicht kommunizierbaren Kündigungen. Das Unternehmen mit diesem schwarzem Humor ist mir jedoch noch nicht begegnet.

Aber im Ernst: Es ist natürlich verständlich und auch richtig so, dass ein Ausscheiden von Mitarbeitern zunächst vertraulich behandelt wird, so dass ein Unternehmen eine Chance hat darauf zu reagieren, ohne das an verschiedenen Stellen durch stille Post panisches Verhalten ausbricht.

Je bedeutender ein Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen sind hier von mir stets ebenso gemeint) für den Zusammenhalt, für das Funktionieren von Teams, für den erfolgreichen Projektverlauf, für das Vertrauen zu den Kollegen nach Innen als auch nach Außen zum Kunden ist, desto wichtiger ist es in so einer Situation Ruhe zu bewahren und Maßnahmen einzuleiten, die das bestmögliche aus der Situation machen. Dass dies oftmals nicht geschieht, ist nochmal ein ganz eigenes Thema und hat viel mit der Verstocktheit und Widersprüchlichkeit von Unternehmen zu tun, die sich im Führungskreis für fehlerlos in ihrer Mitarbeiterführung halten und nach außen zu den Bewerbern und nach innen zu den Mitarbeitern ein Bild vermitteln, was nichts mit der Realität zu tun hat, sondern mit Vermarktung gleich zu setzen ist.

Stille Post als Verfälscher von Sachverhalten zu vermeiden, ist um so wichtiger, wenn es sich im Umfeld um eine junge Belegschaft handelt (wie sie in der Online-Branche natürlicherweise häufig anzutreffen ist), für die durchaus emotional eine Welt zusammenbrechen kann, wenn eine schützende oder fachlich starke Person das Unternehmen verlässt. Wichtig ist dies auch, wenn der ausscheidende Mitarbeiter einen Kunden in einer engen vertrauensvollen Beziehung betreut oder wenn der Kunde durch eine Nervosität im Projektalltag aufgefallen ist und droht abzuspringen.

Mir geht es an dieser Stelle jedoch nicht um die Maßnahmen, die nachdem zu ergreifen sind, sondern die bereits vorher ganz normaler Bestandteil der Projektarbeit sein müssen, da es zwangsläufig zu Situationen des Kündigens oder Ausscheidens aus anderen Gründen kommen wird.

Im Kern laufen diese Vorher-Maßnahmen alle darauf hinaus, dass ein zunächst Außenstehender zu einem späteren Zeitpunkt die Projektarbeit des Ausgeschiedenen aufnehmen und so schnell wie möglich fortsetzen kann, ohne Geschichtsforschung durch unzählige Interviews unter den „Verbliebenen“ betreiben oder gar Computer „hacken“ zu müssen. Im Wesentlichen handelt es sich um Verschriftlichungen, Speicherungen an zentral-zugänglichen Orten in strukturierter Weise:

Vorher-Maßnahmen vor Kündigungen in der Projektarbeit

  • Alle Projektinhalte sind zentral und zugänglich für das Unternehmen abzuspeichern und niemals nur auf dem Arbeitsplatzrechner/ -gerät vorzuhalten. Negativbeispiele:
    • Projektleitern chatten per Skype oder Whatsapp mit dem Kunden und legen diese Informationen nirgends ab
    • Programmierer committen über Tage hinweg ihren programmierten Code nicht in zentrale Code-Verwaltungen und lassen den Code lokal auf ihrem Rechner liegen
    • Screen-Designer exportieren nur Ergebnisdateien (JPG, PNG) an zentrale Stellen und die Arbeitsdateien verbleiben lokal
    • Firmen haben keine Adminzugänge zu verwendeten Cloud-Lösungen, deren sich ausgeschiedene Mitarbeiter bedienten
  • Alle Vertragsrelevanten Vereinbarungen sind schriftlich festzuhalten und in einer (digitalen) Projektakte strukturiert, am besten nach Zeitablauf, abzulegen
  • Ergebnisse von Meetings, Telefonkonferenzen sind schriftlich zu protokollieren, am besten in einem Wiki-System
  • Arbeitsanweisungen, Fehlermeldungen zur Software sind schriftlich festzuhalten, am besten in einem Ticket-System (Issue-Management-System)
  • Bestimmte Projektrollen sind von vornherein mit Vertretern zu besetzen, die auch möglichst jederzeit ins Bild zu setzen sind. Dazu zählen Projektleiter, Architekten, Programmierer an Schlüsselstellen.

Angesichts von Kündigungsfristen von manchmal nur 4 Wochen, von vorhandenen mehrwöchigen Resturlauben, von plötzlichen Krankheiten sind oben genannte Punkte zwingende erforderliche Vorab-Notfallmaßnahmen, falls der ausscheidende Mitarbeiter im wahrsten Sinn des Wortes von heute auf morgen seinen Arbeitsplatz verlässt. Aber nicht nur für diesen Fall gehören solche Maßnahmen zum Qualitätsgesicherten Arbeiten dazu.

Wenn ich mich allerdings hinterfrage, ob ich im Jahr 2019 das so umgesetzt vorfinde, so komme ich leider zum Ergebniss, dass dies nicht von allen Dienstleistern oder Auftraggebern praktiziert wird und eine erschreckende Lässigkeit oder Gutgläubigkeit einem entgegentritt, wenn man dies anspricht.

Gründe von Kündigungen in der Online-Branche

Ich möchte nun auf Gründe eingehen, die zu einer hohen Fluktuation insbesondere in den Online-Dienstleistungsunternehmen (Webagenturen, Systemhäuser) führen können und die ich in 20 Jahren Berufsleben auch als Personalvorgesetzter erlebt habe.

Um dies strukturiert zu betrachten, beziehe ich mich auf 8 Gründe bzw. Motivationen die  auf Maertz und Griffeth [*1] zurückgehen. Eine zusammenfassende Betrachtung findet sich hier, von wo ich nachfolgende Struktur aufgreife.

Affektive Gründe (emotionale Gründe nicht mehr für eine Firma zu arbeiten)

Nur die wenigsten in der Online-Branche tätigen Unternehmen, haben durch einen Markennamen eine Anziehungskraft erlangt, dass sie allein aufgrund ihre Existenz Mitarbeiter binden und halten können. Normalerweise ist in Deutschland die Anziehungskraft als Arbeitgeber eines Online- oder IT-Unternehmens nicht mit der von großen Automobilkonzernen vergleichbar. Folglich heißt das, dass Arbeitgeber der Online-Branche auf ganz individuelle Art ihren Mitarbeitern ein Wohlgefühl vermitteln müssen, dass sie bei ihnen verbleiben. Umgekehrt betrachtet, müssen sie bei ihrer Belegschaft jenes Unbehagen verhindern, was zu psychologischen „Vermeidungstendenzen“ beim einzelnen Mitarbeiter führt und damit Kündigungen vorbereitet.

Kündigungen von Programmierern, besonders jenen die im Coden ihre Erfüllung sehen und weniger berechnend ihr Berufsleben betrachten, wie das Projektleiter verallgemeinert gesagt vielleicht tun, sind daher meist die Folge eines Unglücklichseins mit der Arbeitsplatzsituation.

Der am häufigsten von mir beobachtete Grund war, dass ein Programmierer mit Aufgaben konfrontiert wurde, bei denen er aus seiner Coder-Rolle weggeholt werden sollte, um beispielsweise gegenüber dem Kunden aufzutreten oder eine andere Verantwortung zu übernehmen, die von ihm deutlich mehr Tätigkeiten abseits des Programmieren erforderten. Firmen, die in ihrer internen Organisation z.B. zu wenige IT-Projektleiter beschäftigten, griffen auf Programmierer zurück, um diesen Mangel zu kompensieren, obwohl diese eigentlich nicht wollten. Das nun ausgelöste Unwohlsein versuchte der Programmierer zu vermeiden und kündigte.

Ein anderer Grund, warum Programmierer sich unwohl fühlen und nicht mehr für einen Arbeitgeber arbeiten möchten, ist fachlicher Natur. Die größte Herausforderung als Teamleiter von Programmierern ist es, ihre unterschiedliche Sicht auf Technologien und damit ihre Motivation sich damit beschäftigen zu wollen, unter einen Hut zu bekommen. Grob gesagt, gibt es zwei Extrem-Kategorien von Codern in der Dienstleistungsbranche: Jene, die ihre eingeschlagene Spezialisierungsrichtung immer weiter verfolgen wollen und sich schwer tun, etwas grundlegend anderes zu machen, selbst wenn gerade kein Projekt für diese Technologie bereitsteht. Und jenen, die stets alles anders machen und sich künstlerisch verwirklichen wollen und der Meinung sind, ihr Arbeitgeber verschläft gerade die neueste Technologie, selbst wenn er damit kein Geld verdienen kann. Beiden Gruppen kann man es gleichzeitig nicht recht machen, sondern man muss eine Balance aus Bewährtem und Neuem finden. Tendenziell ist die zweite Gruppe, jene der den Shiny Toys hinterher rennenden, anfälliger für Kündigungen, sofern sie einen neuen Arbeitgeber findet, bei dem diese Selbstverwirklichung (vermeintlich) möglich scheint.

Natürlich können auch Projektleiter aus emotionalen Gründen ihren Arbeitgeber verlassen, auch wenn ich ihnen oben mehr rationale Berechnung unterstellt habe. Projektleiter, zumal bei Dienstleistern, haben wie keine andere Berufsgruppe einen Einblick in die Schwächen der Organisation, bei der sie angestellt sind. Sie sind Leidtragende, wenn ihr Projekt unterbesetzt ist, weil der Arbeitgeber nicht das benötigte Personal bereitstellen kann, obwohl er vorher den Auftrag an Land geholt hat. Sie müssen vor ihrem Kunden ihr Gesicht hinhalten, wenn der Zeitplan nicht gehalten werden konnte, obwohl eigentlich ihr Vorgesetzter dies tun müsste, weil er zugunsten eines anderen Projektes die ursprünglichen Personalplanungen verworfen hatte. Wenn, um ein weiteres Beispiel zu geben, interne Prozesse so ausufernd sind, eine umständliche Rechnungslegung oder eine bürokratische Controlling-, Berichtswesen-Kultur vorherrscht, dass kaum Zeit für das Projektteam bleibt, dann wird die Suche nach dem Schuldigen für den gefühlten „Wahnsinn“ relativ schnell zum Arbeitgeber führen. Und wenn dann der Vorgesetzte keine Verbesserung herbeiführen kann, weil er selbst machtlos oder willenlos ist, ist der Weg zur Kündigung nicht mehr weit. Projektleiter zweifeln am schnellsten an ihrem Arbeitgeber und verlieren ihre Identifikation, weil sie mit ihrer Tätigkeit am stärksten die Prozesse des Unternehmens berühren und daher enttäuscht werden können.

Berechnende, rationale Gründe

Mitarbeiter verfolgen mehr oder weniger ausgeprägt im Berufsleben „Karriereziele“, an deren Erreichbarkeit von Zeit zu Zeit der aktuelle Job von ihnen gemessen und hinterfragt wird. Diese Ziele können mehr Geld, mehr Status und Einfluss oder die Entwicklung von fachlichen Expertenwissen sein. Mehr Freizeit oder eine stabile Work-Life-Balance zu haben, kann auch ein Ziel sein, wobei dies vom Angestellten üblicherweise nicht als Karriereziel gegenüber seinem Arbeitgeber benannt wird, aus Angst als nicht „entwicklungsfähig“ im Sinne des Unternehmens angesehen zu werden.

Sind diese Ziele beim aktuellen Arbeitgeber nicht erreichbar oder in ihrer Erreichung gefährdet, so wird rational auf Basis einer solchen Abwägung eine Kündigung in Betracht gezogen. Vermutlich wird jedoch ein Durchführen der Kündigung ausschließlich durch  Berechnungsgründe nur dann erfolgen, wenn die emotionale Bindung zum Arbeitgeber bereits (oder noch) sehr gering ist und vertragliche und perspektivische Aspekte einen Job-Wechsel begünstigen.

Daher denke ich, dass rein rationale Gründe am häufigsten in der Anfangsphase (z.B. in der Probezeit) oder einer absehbaren Endphase (z.B. am Ende einer Befristung) zur Kündigung führen. Zu anderen Zeitpunkten wird der rationale Grund üblicherweise zusammen mit anderen Kündigungsgründen einhergehen.

Oben schrieb ich, dass Online-Projektleiter meist weniger emotional ihre Kündigungsentscheidung getroffen haben als beispielsweise Programmierer. Ich führe dies einerseits auf die fehlende „handwerkliche Tätigkeit“ zurück, die seltener Emotionen und damit eine innere Bindung zur eigenen Arbeit erzeugt. Ein Programmierer oder ein Online-Kreativer kann dagegen beispielsweise, auch wenn es sich um digitale Arbeitsergebnisse und nicht per Hand greifbare Gegenstände handelt, am Ende seines Arbeitstages eher „erfassen“, was er getan und geleistet hat. Ein Projektleiter sieht oftmals keine Ergebnisse der von ihm geleisteten Arbeit, sondern hat, insbesondere nach stressigen Tagen, einen Informationsoverkill mit einer Vielzahl von vor seinen Augen flirrenden Themen im Kopf oder sieht im positiven Fall, was andere in seinem Projekt geleistet haben. Dies kann eine Zeit lang befriedigen, insbesondere, wenn man vom Gefühl her wie ein Dirigent ein Orchester als Projektteam leiten kann. Ich behaupte jedoch, dass dies in der Praxis bei digitalen Projekten selten die Emotionalität erzeugt, die beispielsweise ein Online-Designer seinen Grafiken oder Weblayouts entgegen bringen kann.

Dies soll keine Kritik oder Abwertung von Projektleitern sein, sondern es entspricht dem Berufsbild, dass hier kein Schöpfungsprozess stattfindet. Darin sehe ich auch den zweiten Grund für mehr Rationalität während möglicher Kündigungsentscheidungen. Der Beruf des Projektleiters erfordert eine große Nüchternheit und viel Sachlichkeit in der täglichen Projektarbeit. Das heißt, dass ein guter Projektleiter nicht nur sein Projekt, sondern auch seinen aktuellen Job rational gut bewerten kann.

Für Online-Projektleiter und ihre Arbeitgeber ist die Definition eines nicht-monetären Karriereziels auf Dauer eines der größten Probleme, wenn man die Kündigung vermeiden möchte. Man kann den Projektleiter immer größere Projekte leiten lassen, man kann ihn mit neuen Zertifikaten und Ausbildungen in der Theorie fortbilden, doch am Ende stellt sich für den Projektleiter oftmals nach Jahren die Frage, ob alles nicht eine endlose Wiederholung von schon dagewesenem ist. Und ob nicht ein stärkerer Impuls zu etwas Neuem her muss, wie eine Position im (mittleren) Management, ein Wechsel des Arbeitgebers oder ein Eintritt in die Selbständigkeit.

Nachlassendes Gefühl von Verpflichtungen

Verpflichtungen, eine Kündigung nicht in Betracht zu ziehen, können vertraglicher Form oder aber auch psychologischer Natur sein. Selbst wenn der Mitarbeiter eigentlich rational kündigen möchte, bindet ihn im psychologischen Fall ein Gefühl einer Verpflichtung, einer Schuldigkeit an seinen Arbeitgeber und verhindert die Kündigung. Lässt dieses Gefühl nach oder ist gar nicht erst vorhanden, entsteht ein Kündigungsgrund aus emotionaler Gleichgültigkeit, der wahrscheinlich nie allein einher kommt, jedoch bei näherem Nachfragen indirekt sehr häufig zu erkennen ist.

Team-Mitarbeiter oder Kollegen, die gekündigt hatten und mit denen ich gesprochen habe, zeigten oft ein Schulterzucken, wenn es um die Frage ging, wie es nun mit den von ihnen verantworteten Aufgaben oder Themenbereichen weitergehen soll. Es waren ihnen egal, sei es weil sie die gesamte Firma verteufelten, weil ihr Vorgesetzter sie mehrfach verärgert und enttäuscht hatte oder weil sie in kein Team eingebunden gewesen waren, gegenüber dem sie sich verpflichtet gefühlt hätten.

Die Enttäuschung, die fehlende Anerkennung und Wertschätzung von Vorgesetzten, meist über längeren Zeitraum wiederholt ausgeblieben, ist eine der von mir am folgenreichsten beobachtesten Fehlentwicklungen gewesen, die zur Kündigung führten. Die meisten Angestellten geben schließlich mehr als die Unterschrift unter ihren Arbeitsvertrag, sondern auch eine innere Haltung, gute Leistung abzuliefern. Als Gegenwert erwarten sie nicht nur ihr Gehalt, sondern auch eine Beachtung, eine Dankbarkeit. Gibt es diese nicht, löst sich die psychologische Bindung auf und die Kündigung wird zu einer fast gleichgültigen Angelegenheit.
Obwohl die Online-Branche unter Arbeitskräfte-Mangel leidet, gibt es immer wieder Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter auf die beschriebene Weise vernachlässigen. Neben Ungeeignetsein als Vorgesetzter, Menschen zu führen, sind es oft auch Auslastungssituationen der Vorgesetzten, die zu viel operativ arbeiten müssen und ihre eigenen Leute einmal im Monat zufällig in der Kaffeeküche oder der Toilette mit sichtbar schlechten Gewissen kurz begrüßen, oder die andererseits fehlende formale Spielräume besitzen, die Perspektiven der Mitarbeiter gestalten zu können, ohne die nächsthöheren Management-Ebenen hinzuziehen zu müssen.

Ich habe jedoch auch andere Kollegen nach ihrer Kündigung kennengelernt, die sehr mit ihrem „Gewissen“ gerungen haben und trotz ihres Verpflichtungsgefühls gekündigt hatten und nun sehr bemüht waren, die (daraus entstandenen) Probleme im Sinne ihres Arbeitgebers noch bis zum letzten Arbeitstag zu lösen.

Ich möchte nicht dafür plädieren, den Mitarbeitern manipulativ ein Gefühl einer Schuldigkeit zu vermitteln, damit sie möglichst nicht kündigen. Manche der sogenannten Incentives tragen einen solchen Charakter und werden bewusst dafür eingesetzt.

Es ist jedoch so, dass die menschliche Natur, die zu einem sozialen Miteinander ausgelegt ist, positiv genutzt, zu weniger Kündigung führen wird. Dazu zählen Einbindung, Wertschätzung, Respekt und Dankbarkeit, in Form von Worten und letztlich natürlich auch Geld.

Ich denke nicht, dass die Online-Branche hier sich grundsätzlich von anderen Branchen unterscheidet. Sie ist den gleichen Entwicklungen unserer Gesellschaft unterworfen, wo der Einzelne mehr und mehr seinen Eigeninteressen folgt, sich selbst wie ein Wirtschaftsunternehmen vermarktet und im Fall einer erhöhten Markt-Nachfrage, welche in der Online-Branche ja vorherrscht, schneller zur Kündigung greift als in früheren Zeiten.

Entfallene Kosten die durch die Kündigung entstehen

Wegen anfallenden oder bereits angefallenen Kosten nicht zu kündigen, dürfte in der Online-Branche derzeit im Normalfall kaum anzutreffen sein. Vorauszahlungen, Schulungskosten, um einen Beruf anzutreten und diese durch die Kündigung in den Wind zu schreiben, wie z.B. in zahlreichen sozialen Berufen in Deutschland, sind in dieser Branche aufgrund der Marktlage unüblich.

Am ehesten zögern mir bekannte „Onliner“ mit ihrer Kündigung aus finanziellen Kostengründen, weil sie in ein öffentliches Unternehmen, welches schlechter bezahlt, wechseln möchten, weil sie die Metropolen-Region in Richtung ländliches Umland verlassen möchten, dann aber aufgrund von Reise- oder Doppelwohnungskosten steigende Ausgaben haben würden.

Alternativen für andere Jobs

Die Möglichkeiten einen anderen Job in der Online-Branche zu finden, sind seit über einem Jahrzehnt zumindestens in den Großstadtregionen Deutschlands für Angestellte recht gut. Selbst Passivität in der eigenen „Karriereplanung“ muss nicht negativ sein, denn Firmen werben erfolgreich Mitarbeiter ab, selbst wenn diese eigentlich mit ihrem jetzigen Arbeitgeber zufrieden sind.

Diese breiten Alternativen sind mit Sicherheit eine der Hauptgründe für teilweise hohe Fluktuationsraten, insbesondere im jungen, familiär ungebundenen Alter vieler Arbeitskräfte.

Erwartungen von Dritten

In wie weit der Druck durch Freunde, Verwandte und Bekannte Einfluß auf die Kündigungen von Angestellten der Online-Branche relevant ist, kann ich schwer beantworten. Dies wird seltenst als Grund genannt, wahrscheinlich weil kaum jemand zugibt, wegen Drucks von Dritten gekündigt zu haben.

Bei Angestellten mit Familie und mit Kindern wird als Kündigungsgrund gelegentlich der Wunsch nach einer besser funktionierenden Work-Life-Balance benannt, der durchaus im Fall von einigen männlichen Kollegen erst durch Druck der Familie entstanden ist.

Bei anderen führt ein Herkunft-geprägtes Weltbild eher bei Großunternehmen oder Behörden zu arbeiten, um (vermeintlich) „Arbeitsplatzsicherheit“ zu haben, zu Kündigungen bei zuvor kleineren Unternehmen.

Moralische Bedenken

Bedenken zu haben, nicht zu kündigen, weil es sich „nicht gehört“ aufzugeben, dürften mit Nachlassen von religiösen Prägungen, hier insbesondere dem Protestantismus (siehe Wikipedia zur protestantischen Arbeitsethik), zunehmend weniger werden. Von älteren Menschen, mit denen ich über die Kündigungen spreche, höre ich öfter Unverständnis, was „heute nur los sei“. Immer weniger Menschen würden „durchhalten“, „sich anstrengen“ und „hart arbeiten“. Jeder würde nur seinen eigenen Interessen folgen.

Dieser Wandel im Denken, in der inneren Haltung vieler Menschen, nicht zuletzt befeuert von einer sich verstärkenden moralischen Wertelosigkeit in allen Lebensbereichen hin zu beispielsweise mehr Konsum, beeinflusst natürlich auch die Denkweise vieler „Online-Angestellter“. Treue zum Arbeitgeber, Durchhalten bei hoher Belastung wird seltener. Wechsel zu anderen Firmen werden selbst bei schwacher Leistung nicht als eigenes Verschulden angesehen, sondern als Schritt zur eigenen Lebenserfolgmaximierung, vor allem wenn mehr Geld dabei rauskommt.
Das viele Arbeitgeber ihrerseits diesen Egoismus und diese Sichtweise fördern, in dem sie Mitarbeiter selbst wie Unternehmer im Unternehmen behandeln und damit ein moralisches Verantwortungsgefühl untergraben, weil sie jeden zum Individualisten verbiegen, ist die andere Seite der Betrachtung, warum „Moral“ mehr und mehr in der Hintergrund tritt .

Keine Lust mehr auf seine Kollegen

Der etwas beliebig formulierte Grund „keine Lust“ zu haben, soll die (nicht funktionierenden) Beziehungen zu anderen Menschen umschreiben, die sich im Laufe der Zeit innerhalb einer Firma, eines Teams entwickeln.

Eine Bindung an den Arbeitgeber wird gestärkt, wenn zu den Mitarbeitern, zu den Kollegen eine gute Beziehung besteht. Der Arbeitgeber kann noch so ablehnend betrachtet werden, wenn das Teamgefühl, meist auf gleicher Ebene, sich stark bindend auswirkt. Ich habe immer wieder von Mitarbeitern gehört, die nicht gekündigt haben, weil sie ihre Kollegen angenehm und als wichtig für ihr Leben empfanden, obwohl sie den Arbeitgeber eher kritisch sahen.

Bestehen solche Beziehungen nicht, ist ein wichtiges Hemmnis für eine Kündigung beseitigt bzw. wirkt sogar noch motivierend, den Arbeitgeber zu wechseln.

In der Online-Branche, in der die Altersstrukturen relativ homogen sind, in der Team-fördernde Aspekte (beispielsweise  bei Scrum) Beachtung finden, in der durch die Fluktuation sich neue Einflüsse im sozialen Gefüge entwickeln und einem Wandel (hin auch zu positivem Miteinander) unterworfen sind, habe ich nur wenige Kündigungen in Erinnerungen, die auf ein „Ablehnen“ des Kollegenkreises zurückzuführen gewesen sind.

Wechselwirkung und Schockerlebnis

Zuvor beschriebene Kündigungsgründe haben eine Wechselwirkung untereinander, die miteinander verstärkend oder manchmal auch gegeneinander wirken und eine Kündigung herbeiführen oder verhindern können. Trigger-Momente als Auslöser oder sogenannte „Schocks“ aufgrund von aufgetretenen Konfrontationen mit Personen des Arbeitgebers sind zudem in manchen Fällen erst erforderlich, um die angedachte Kündigung in die Tat umzusetzen.

Fazit

Die Online-Branche hat zusammengefasst zwar keine eigenen spezifischen Gründe für Kündigungen, besitzt jedoch spezifisch gelagerte Gewichtungen. Dies sind beispielsweise

  • insbesondere in Wirtschaftsstarken-Regionen die höhere Anzahl an beruflichen Alternativen für Job-Suchende
  • überdurchschnittlich viele junge Angestellte
    • deren Bereitschaft zum Job-Wechsel altersbedingt höher ist
    • deren innerer Bindungszwang Generationsbedingt für eine einmal getroffene (Arbeitgeber-, Berufs-) Entscheidung geringer ist
    • deren Fähigkeiten komplexe Themen zu bewältigen, gesunken ist (siehe mein Post zu Konzentrationsmangel in der Online-Branche) und damit eher zu Vermeidungs- und Ausweichtendenzen neigen
    • deren Bildung und Prägung sie befähigt, eher Karriereziele (in verschiedenen Unternehmen) zu verfolgen als Gleichaltrige in klassischen oder sozialen Berufsfeldern
  • ein permanenter Wandel von gefragten fachlich-technologischen Fähigkeiten, welcher Fluktuationen befördert
  • Arbeitgeber, die den Bedarf an IT-Themen nicht mit ausreichend Personal abdecken können und inhomogene Personalstrukturen erschaffen haben (z.B. uneinheitliche Bezahlung, Überlastungen von Leistungsträgern, ungeregelte Zuständigkeiten)
  • Arbeitgeber, die radikalen Wachstumszielen folgen und damit Mitarbeiter nur als „Ressourcen“ sehen und behandeln
  • Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter nicht in dem Maße wertschätzen, wie sie es zumindestens aus Eigeninteresse (wenn schon nicht aus sozialer Verantwortung) aufgrund der Konkurrenzlage tun sollten

Kündigungen gehören zum Alltag im Projektgeschäft und werden im Online-Bereich durch genannte Gründe verstärkt. Das dadurch viele Projekte gefährdet werden oder gar zum Misserfolg führen, wird nach meiner Wahrnehmung selten als Projektrisiko thematisiert, was auch an dem verschwiegenem Umgang mit den Ursachen von Kündigungen liegt. Projektleiter sind daher angehalten, stets die Kündigungsmöglichkeit als Wahrscheinlichkeit mit in ihre Risikobetrachtung aufzunehmen und Maßnahmen zum Umgang zu proaktiv zu praktizieren.

Links

*1 . Eight Motivational Forces and Voluntary Turnover: A Theoretical Synthesis with Implications for Research (PDF, 17 Seiten)